Filmklassiker wird 50

Angst essen noch immer Seele auf

Fabian Sickenberger

Von Fabian Sickenberger

Di, 05. März 2024

Kino

Am 5. März 1974, vor 50 Jahren, wurde Rainer Werner Fassbinders "Angst essen Seele auf" in München uraufgeführt. Bis heute läuft der Film ab und an im Fernsehen oder auf Festivals. Und das nicht nur, weil er zu den bekanntesten Werken des Fassbinder’schen Oeuvres zählt. Sondern vor allem, weil dem legendären Regisseur ein Streifen gelang, der bis heute das Prädikat "zeitlos" verdient.

Deutschland Anfang der 1970er: Die Putzfrau Emmi Kurowski (Brigitte Mira) und der aus Marokko stammende, wesentlich jüngere Gastarbeiter Ali (El Hedi ben Salem) nähern sich an, verlieben sich, heiraten. Bei Alis Namen geht es strenggenommen schon los: Denn eigentlich heißt er El Hedi ben Salem m’Barek Mohammed Mustafa – die Deutschen einigen sich ungefragt auf Ali, das ist einfacher. Für diese Deutschen nun, die definieren und bewerten, ist die Liaison der Witwe und des Marokkaners ein Unding. Die Nachbarinnen tratschen, die Kolleginnen nennen Gastarbeiter "ungewaschene Schweine" oder "Gesindel", das "hier auf unsere Kosten" lebe. "Ich hab’ nichts gegen die Fremden", sagt der offen ausländerfeindliche Kioskbesitzer. Fassbinders "Angst essen Seele auf" ist ein glasklarer, einfach erzählter, direkter Film über Hass und Ressentiments. Das war vor 50 Jahren. Und ist doch so aktuell. Nie war sie weg, die Angst, die die Seele auffrisst. Rostock-Lichtenhagen, Flüchtlingsdebatte, Hanau und zuletzt die wirren Remigrationsphantasien aus den Reihen der AfD stehen dafür stellvertretend Pate. Fassbinders Film könnte genauso gut 2024 spielen – für unsere Gesellschaft ist dieser Schluss kein guter.

Der Rassismus von heute ist nicht einmal weniger explizit, blickt man in die Dynamiken so mancher Debatte in den sozialen Medien. Genauso gleichgeblieben ist der Antrieb für die Abgrenzung: die Angst. Vor dem vermeintlich Fremden, vor dem sozialen Abstieg. So herausragend Fassbinders Film auch ist, bleibt doch zu hoffen, dass er die Zuschreibung "zeitlos" eines schönen Tages verlieren wird. Noch aber sind wir nicht so weit.

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