Arbeitskampf
Gewerkschaften suchen immer öfter den Konflikt
Flugzeuge am Boden, Züge auf dem Abstellgleis – derzeit laufen viele Arbeitskampfmaßnahmen. Die Tarifkonflikte würden intensiver als früher, heißt es von Expertenseite. Aber auch: Es geht noch härter.
Ein Grund ist die hohe Inflation der vergangenen Jahre. Die Preise stiegen zeitweise deutlich schneller als die Gehälter. Auf der anderen Seite steht eine schwache Konjunktur. Das mindere auf Arbeitgeberseite die Bereitschaft für Zugeständnisse, sagt Lesch. "Wir haben also offensiv agierende Gewerkschaften in einem Umfeld, wo die Unternehmen die Spendierhosen eher etwas enger schnallen." Da sei es naturgemäß schwieriger, zu Kompromissen zu kommen. Hinzu komme, dass bestimmte Gewerkschaften durch aktive Tarifbewegungen Mitglieder gewinnen wollten und damit auch erfolgreich gewesen seien. "Insofern muss man auch befürchten, dass auch andere Gewerkschaften, die bislang friedfertiger waren, das mal ausprobieren wollen."
Die Sozialwissenschaftlerin Irene Dingeldey vom Institut Arbeit und Wirtschaft der Universität Bremen hebt hervor, dass die Streiks noch lange nicht ihre härteste Form angenommen haben. "Das wären unbefristete Streiks und die haben wir noch gar nicht", sagt sie. Aber es gebe eine gewisse Häufung von Streiks vor allem im Transportsektor. "Die fallen uns mehr auf, weil wir die Auswirkungen spüren. Deshalb erscheinen sie uns vielleicht härter." Wenn hingegen etwa in der Metallindustrie gestreikt werde, betreffe dies den Normalbürger nicht unmittelbar. "Streik ist ein legitimes Instrument der Tarifauseinandersetzung", so Dingeldey. Es sei die einzige Widerstandsform, die Arbeitnehmer hätten, um ihren Forderungen Nachdruck zu verleihen. "Das gehört dazu – ob es uns gefällt oder nicht."
Gewerkschaften legten derzeit eine gewisse Vehemenz an den Tag, sagt Dingeldey. Im Hintergrund stehe der aktuelle Arbeitskräftemangel. Für die Gewerkschaften bedeute das eine "Machtressource". "Hat sich die Ware Arbeitskraft verknappt, dann wird ein höherer Preis aufgerufen." Bei hoher Arbeitslosigkeit aber verlören Gewerkschaften an Macht und stellten daher geringere Forderungen.
Andere Experten weisen aber darauf hin, dass in Deutschland nach wie vor weniger gestreikt wird als in zahlreichen anderen europäischen Ländern. In welchen Branchen in diesem Jahr noch gestreikt wird, ist offen. Laut Tarifarchiv des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts (WSI) der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung laufen zwischen Dezember 2023 und Dezember 2024 für knapp zwölf Millionen Beschäftigte allein von den DGB-Gewerkschaften vereinbarte Vergütungstarifverträge aus. Im September etwa beginnen die Tarifverhandlungen in der Metall- und Elektroindustrie, der größten Tarifbranche mit über 3,6 Millionen Beschäftigten. Ende 2024 laufen die Tarifverträge für den Öffentlichen Dienst bei Bund und Gemeinden (2,4 Millionen Beschäftigte) aus.
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